„Das Hauptdefizit liegt in der Erstversorgung“

„Je 100.000 erwachsene Einwohner werden mindestens 2 internistische Rheumatologen in der ambulanten Versorgung gebraucht, dies sind 1.350 Rheumatologen. Mit derzeit 776 internistischen Rheumatologen fehlt fast die Hälfte des Mindestbedarfs.“ So heißt es im Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zur Versorgungsqualität in der Rheumatologie – Update 2016. Die DGRh tritt dem Mangel entgegen – so Prof. Dr. med. Matthias Schneider, Direktor der Poliklinik und des Funktionsbereichs für Rheumatologie des Universitätsklinikums Düsseldorf und Generalsekretär der DGRh, im Interview.

Wo fehlen Rheumatologen besonders – ambulant, stationär oder in der Rehabilitation?

Der Hauptbedarf ist ambulant. Doch auch stationär haben wir einen Bedarf an fachspezifischer Versorgung. Das heißt nicht, dass die Bettenzahl steigen muss.

In welchen Gebieten ist der Mangel besonders eklatant?

Es gibt regionale Differenzen. Wir haben konkrete Zahlen vom 31. Dezember 2015. Damals betrug die Zahl internistischer Rheumatologen in den Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg 1,6 bis 2,1 je 100.000 Einwohner, während es in Rheinland-Pfalz und im Saarland 0,8 waren.

Wie wirkt sich das Versorgungsdefizit auf die Patienten aus?

Das Hauptdefizit liegt in der Primärversorgung, d. h. in der Versorgung Neuerkrankter. Je früher wir den Patienten sehen, desto mehr können wir erreichen.

Im Idealfall kommt der Patient innerhalb von zwei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome zu uns, damit er innerhalb von drei Monaten gezielt therapiert ist. Doch in der Realität dauert es drei bis meist sechs Monate und mehr, bis die Menschen zu uns kommen. Es ist schwer zu sagen, ob Patienten, die bereits rheumatologisch behandelt werden, schlechter versorgt werden, weil Rheumatologen fehlen. Wenn sie gut eingestellt sind, können die Kontrollintervalle länger als drei Monate sein.

Wieso dauert es bis zu einem halben Jahr, bis neu erkrankte Patienten sich beim Rheumatologen vorstellen?

Zunächst muss der Patient selbst erkennen, dass er ein Problem hat. Er geht zum Hausarzt. Der behandelt in der Regel symptomatisch. Das dauert sechs bis zehn Wochen. Wenn der Patient danach noch drei Monate auf einen Sprechstundentermin beim Rheumatologen warten muss, ist das zu lang.

Welche Maßnahmen will die DGRh ergreifen, um dem Mangel zu begegnen?

Wir fordern eine eigene Bedarfsplanung für internistische Rheumatologen unabhängig von der Gesamtzahl der Internisten. Und wir fordern, die Beschränkungen der Zahl abzurechnender Patienten und Leistungen aufzuheben, um das Versorgungsdefizit kurzfristig zu mildern.

Wie können Medizinstudenten dazu motiviert werden, sich für die Rheumatologie zu begeistern?

Die Rheumatologie muss an den Hochschulen sichtbarer werden. An vielen Fakultäten gibt es überhaupt keine Ausbildung in der Rheumatologie. Wir wollen mehr Studierende für unsere Fachrichtung interessieren und gleichzeitig die zukünftigen Hausärzte besser informieren. Denn sie sind die ersten Ansprechpartner unserer Patienten und müssen rechtzeitig erkennen, ob der Mensch zum Rheumatologen muss. Außerdem ist es wichtig, die Weiterbildung auszubauen. Die Zahl der derzeit weitergebildeten Ärzte reicht kaum aus, um die aus Altersgründen ausscheidenden Rheumatologen zu ersetzen.

Sollen Rheumatologen aus dem Ausland gezielt nach Deutschland geholt werden?

Das ist schwierig. Zwar gibt es eine europäische Vorgabe zur Fachrichtung Rheumatologie. Doch ich wüsste nicht, welche Länder einen Überschuss haben. Außerdem teilen Nachbarstaaten wie die Schweiz oder Frankreich die entzündliche und degenerative Versorgung der Patienten, also die Aufgabenteilung zwischen Orthopädie und Innerer Medizin, anders auf.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Ursula Katthöfer, www.textwiese.com

Weiterführender Hinweis

  • Zink, A. et al.: Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zur Versorgungsqualität in der Rheumatologie – Update 2016, Z Rheumatol, April 2017, 76(3):195–207