Die Crux der Endoprothetik: zu hohe Erwartungen

Viele Patienten mit fortgeschrittener Arthrose im Knie- oder Hüftgelenk und erheblichen Schmerzen versprechen sich von einem Gelenkersatz die „Heilung“. Nach der Implantation einer Totalendoprothese (TEP) sind aber längst nicht alle Patienten zufrieden, insbesondere solche mit Knie-TEP. Die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE) warnte auf einer Pressekonferenz anlässlich ihres Jahreskongresses im November 2017 in Hamburg vor zu frühen Implantationen und falschen Erwartungshaltungen der Patienten (1).

Die Zufriedenheit sei vor allem bei Patienten mit Knie-TEP suboptimal und liege nur bei 80 bis 85 Prozent, berichtete Prof. Dr. Henning Windhagen, Direktor der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsident der AE. Bei Patienten mit künstlichem Hüftgelenk beträgt sie immerhin rund 95 Prozent. „Eine Knieprothese macht nicht jeden Patienten zu einem glücklichen Menschen“, betonte Windhagen. Nicht selten würden die Patienten über Bewegungseinschränkungen und Schmerzen klagen. Umso wichtiger seien sorgfältige Auswahl und Aufklärung der Patienten.

TEP-Zahlen steigen stetig

Die Implantation künstlicher Knie- und Hüftgelenke zählt zu den häufigsten Eingriffen in deutschen Kliniken und nimmt in absoluten Zahlen aufgrund der demographischen Entwicklung stetig zu (2). Laut des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2016 bundesweit 233.000 Patienten eine Hüft- und 187.000 eine Knie-TEP erhalten – am häufigsten 55- bis 84-Jährige. Aber auch jüngere Patienten sind nicht so selten wie gedacht. Über 10 Prozent der Hüftgelenks- und rund 8 Prozent der Kniegelenks-Patienten erhalten den Gelenkersatz im Alter von unter 55 Jahren (2).

Erwartungen mitentscheidend

Laut einem systematischen Literatur-Review mit Daten aus den Jahren 2005 bis 2016 hängt die Zufriedenheit von Patienten mit Knie-TEP in erster Linie von den Erwartungen vor dem Eingriff, vom Ausmaß der Funktionsverbesserung und dem Schmerzverlauf ab (3). Alle konservativen Therapiemöglichkeiten sollten bei Patienten mit fortgeschrittenem Knorpelverschleiß ausgeschöpft sein, so Windhagen. Mindestens über ein halbes Jahr (bei jüngeren Patienten besser über ein Jahr) sollte versucht werden, die Beschwerden durch Schmerzmittel und körperliches Training in den Griff zu bekommen. Die Patienten sollten sich darüber im Klaren sein, dass der Eingriff eine Einbahnstraße sei, Revisionen nötig werden könnten und der alte Zustand nicht wiederhergestellt werden könne.

„Ein Implantat kann den natürlichen Knochen nie vollständig ersetzen“, betonte Windhagen. Das Ziel sei eine gute Funktion und ein natürliches Gelenkgefühl. Während moderater Sport wie Skifahren, Laufen, Schwimmen, Golfen, Radfahren oder Wandern mit Gelenkendoprothese möglich sei, werde von extremeren Belastungen wie Fußballspielen oder Boxen abgeraten.

Intensive Belastungen vermeiden

„Ein künstliches Gelenk ist kein Jungbrunnen“, ergänzte Prof. Dr. Karl-Dieter Heller, Orthopäde aus Braunschweig. Je intensiver die Belastung, desto größer sei das Risiko für eine frühzeitige Lockerung der Implantate. Kritisch sieht Heller in diesem Zusammenhang das Medienecho um den deutschen Schwergewichts-Boxer Manuel Charr, der 2017 mit zwei künstlichen Hüftgelenken Weltmeister wurde. „Das ist zwar Werbung für die Operateure, schürt aber auf Patientenseite falsche Erwartungen“, sagte Heller.

Fortschritte bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen

Wie lange ein Gelenkimplantat funktioniert, hängt nicht nur vom Können des Operateurs, sondern auch von Patientenfaktoren wie Übergewicht oder Begleiterkrankungen wie Gicht, Diabetes oder Rheuma ab.

„Bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist die Haltbarkeit von Gelenkprothesen geringer als bei anderen Patienten“, sagte Prof. Dr. Wolfgang Rüther, Orthopäde am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dennoch könnten viele Rheuma-Patienten von einem künstlichen Gelenk ganz stark profitieren. Beurteilt werden sollte, welches Gelenk am stärksten betroffen und wo eine endoprothetische Versorgung vorrangig sei.

Durch neue Biologikatherapien und bessere präventive Ansätze sei es vor allem bei jüngeren Rheuma-Patienten in den letzten Jahren gelungen, die Zahl von Prothesenimplantationen um 30 bis 50 Prozent zu verringern.

Quellen

  • (1) Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE), 30.11.2017, Hamburg, anlässlich des 19. AE-Kongresses
  • (2) Bleß HH, Kip M (Hrsg.): Weißbuch Gelenkersatz. Versorgungssituation endoprothetischer Hüft- und Knieoperationen in Deutschland. Springer Verlag, 2017. ISBN 978-3-662-52904-1, doi: 10.1007/978-3-662-53260-7
  • (3) Gunaratne R et al.: Patient Dissatisfaction following total knee arthroplasty: a systemic review of the literature. J Arthroplasty 2017; 32(12): 3854-3860.